Zu sich selbst finden, wurde noch nie so missverstanden

     


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    Wer Botulinumtoxin – umgangssprachlich Botox – googelt, bekommt folgende (erschreckende) Antwort: Botulinumtoxin ist eines der potentesten Giftstoffe, die es gibt – nur ein Teelöffel davon, genauer 39 Gramm, würden ausreichen, um alle 5 Milliarden Menschen auf dieser Welt in Kürze zu töten. Das Toxin blockiert die Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel und wenn es über den Blutkreislauf die Atemmuskulatur erreicht, endet das rasch tödlich. Das Beauty-Rezept lautet: Microdosing! Die tödliche Dosis von Botulinumtoxin beträgt etwa 2500 Einheiten. Und für die Stirn von Nicole Kidman benötigt man etwa 50 Einheiten. Seit zwanzig Jahren wird Botox als Verjüngungskur eingesetzt. Und hier gleich noch ein paar Fakten: Botulinumtoxin – Botox ist nur der Markenname des ersten Herstellers Allergan – wird von einem Bakterium namens Clostridium botulinum produziert. Entdeckt wurde es schon 1817 von einem deutschen Dichter und Mediziner, der mehrere Patientinnen mit Lähmungserscheinungen behandelte, die alle von der gleichen und vermutlich verdorbenen Wurst gegessen hatten. Daher auch der Name: «Botulus» heisst auf lateinisch Wurst.

    Die SRF-Sendung «Mona Mittendrin» hat mich angeregt über Botox zu schreiben. Mona besuchte einen Schönheitschirurgen in Zürich. Der Arzt dort riet der 49-jährigen Mona sich doch auch mit Botox behandeln zu lassen, sie wäre die ideale Patientin dafür. Mal abgesehen davon, dass dies sehr grenzüberschreitend ist, schockiert mich der Umgang der Gesellschaft mit dem Nervengift Botox. Ethisch und moralisch finde ich diese Art von Schönheitseingriffen an einem gesunden Körper sehr fragwürdig. Viele Menschen scheinen getrieben zu sein vom Wahn nach ewiger Jugend und perfekter Schönheit. Ihr grösster Albtraum – das Altern ihres Körpers. Dabei scheint ihr Verstand irgendwie auf der Stecke zu bleiben. Zu sich selbst finden, wurde noch nie so missverstanden. Aber was da so ganz individuell zusammengespritzt wird, sieht am Ende erstaunlich gleich aus – so wie die meisten durch «Face Tun» & Co gejagten Gesichter auf Instagram: Alle strahlen wohl proportioniert, aber langweilig um die Wette – notabene aber eben ohne Charisma und Ausstrahlung. Alles perfekte Abbilder unserer Epoche – einer bis ins letzte Detail zurechtgetunten Zeit.

    Alt werden wollen alle, aber ohne zu altern: Das Altern ist ein fortschreitender biologischer Prozess der meisten mehrzelligen Organismen, der graduell zum Verlust der gesunden Körper- und Organfunktionen und schliesslich zum biologischen Tod führt. Altern ist als physiologischer Vorgang ein elementarer Bestandteil des Lebens aller höheren Organismen und eines der am wenigsten verstandene Phänomene der Biologie. Kurz und gut, es ist so eine Sache mit dem würdevollen Altern. Einerseits ist das Fortschreiten der Zeit so sicher wie das Amen in der Kirche. Altern gehört zum Leben. Relevant ist für mich also weniger, wann ich alt bin, sondern wie ich alt werde. Ich hege und pflege meinen Körper, denn er ist die Hülle meiner Seele und meines Geistes. Innerliche und äusserliche Schönheit ist mir wichtig und damit auch innerliche und äusserliche Gesundheit. Und ebenso wichtig ist mir, mit Leichtigkeit und Würde zu altern. Dazu gehören körperliche Einbussen, aber das Älterwerden ist kein Weg hin zum Ablaufdatum, sondern ein Prozess, der uns immer näher zu uns selbst bringt – so gesehen ein Geschenk der Evolution. Es ist ein Abenteuer, wozu man kein Botox braucht, sondern Lebensmut und Stärke, sich mit dem Wesentlichen des Lebens auseinanderzusetzen. Denn mit dem Alter kommt eben auch ein bisschen Weisheit, Selbstbewusstsein, Entschlossenheit und die Erkenntnis, was man eigentlich vom Leben will. Man lernt sich selbst kennen und lieben. Das ist harte Arbeit, und dies erfordert Zeit. Für nichts in der Welt würde ich diesen Prozess wieder rückgängig machen wollen – auch nicht dafür, wieder Siebzehn zu sein.

    Das Leben ist kurz. Macht ist vergänglich. Körperliche Schönheit ist von kurzer Dauer. Das habe ich bei Löwen gesehen und ich habe es bei alten Menschen gesehen. Jeder, der lange genug lebt, wird irgendwann schwach und sehr verletzlich – da hilft auch Botox nicht weiter! Deshalb lasst uns demütig sein. Helft den Kranken, den Schwachen, den Verwundbaren und vor allem vergesst nie, dass wir eines Tages diese Bühne verlassen werden.

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

    Vorheriger ArtikelPrämienzahlende im Kanton Zürich endlich entlasten!
    Nächster ArtikelDemokratie und Meinungsfreiheit