Mit spitzer Feder …

Mein Arbeitsweg führt mich jeweils montags bis mittwochs vom Hauptbahnhof Bern an der «Spielkiste» vorbei. Die Auslagen in den Schaufenstern des Kinderspielzeugladens ziehen mich ausnahmslos magisch an. Bereits beim Aussteigen aus dem Zug freue ich mich auf diesen ersten Höhepunkt am Morgen. Momentan sind gerade diverse Spiele für kleinere und grössere Kinder ausgestellt. Besonders fasziniert mich das lustige Cover mit den frechen Hühnern von «Zicke Zacke Hühnerkacke» – ein Spiel für Kinder ab 4 Jahren. Ebenso ein Blickfang ist für mich «Funkelschatz – das Eis gibt seine Beute preis» – ein spannendes Sammelspiel mit vielen glitzernden Utensilien für Kinder ab 5 Jahren. Ich habe schon immer einen grossen kindlichen Anteil in mir bewahrt, und kindliche Dinge entzücken mich noch immer wie in meiner Kindergartenzeit. So ist es wohl auch nicht verwunderlich, dass mein verspieltes inneres Kind, sich jeden Morgen an den Spielzeugen in der Auslage erfreut und bei mir die Glückshormone Dopamin, Serotonin, Oxytocin, Adrenalin/Noradrenalin, Endorphine sowie Phenylethylamin ausschütten lässt. Diese kindlichen Dinge sind für mich eine wichtige Ressource, die mir erlaubt, auch in schwierigen Zeiten und prekären Situationen Kraft und Resilienz zu haben. Meine kindlich geprägten Ideen sind für mich ein grosser Schatz, den ich mir um jeden Preis bewahren will. Meine Seele nährt sich davon. Ohne alltäglichen Kontakt zu meinem inneren Kind – dem verletzten, zarten und zugleich starken Anteil in mir – läuft es nicht rund.
Manchmal verlieren wir den Kontakt zu unserem inneren Kind. Das fühlt sich definitiv nicht gut an, und wir verlieren damit unser inneres Gleichgewicht. Ist das innere Kind einmal nach Hause gekommen und mit dem Erwachsenen-Ich versöhnt, will es mitsprechen und mitentscheiden. Hier beginnen diese beiden Anteile miteinander zu diskutieren. Ich pflege und hege mein inneres Kind, gebe ihm Geborgenheit und mache es glücklich und dann ist in meinem Leben alles möglich. So einfach das nun auch klingt, ist es nicht. Es ist ein langer Prozess und harte Knochenarbeit. Es braucht Mut, Wille, Intuition, und eine grosse Portion Durchhaltewillen und Geduld. Mein Tête-à-Tête mit meinem inneren Kind ist nicht immer einfach und manchmal auch ziemlich schmerzhaft. Aber noch nichts in meinem Leben hat sich so gelohnt, wie sich mit meinem inneren Kind auseinanderzusetzen – es ist ein Heimkommen – jeden Tag von Neuem.
Kinder erleben nicht nur die Natur unmittelbarer, sie scheinen die einfachsten Sinneseindrücke – den Geruch einer frisch gestrichenen Bank oder den Klang einer angeschlagenen Gitarrensaite – direkter und intensiver zu erfahren. Sie gehen mit anderen Menschen ohne Hintergedanken um, und haben dadurch, dass sie sich nicht verstellen können, eine eigentümliche Grazie. Die Beziehungen, die Kinder mit anderen Menschen führen, sind im besten Fall von Nähe und Vertrauen geprägt. Ihre Zukunft ist völlig offen. Sie müssen sich zu kaum etwas entscheiden. Sie müssen sich auf nichts festlegen. Sie müssen keine Konsequenzen befürchten. Sie können kreativ und sorgenfrei sein. Gibt es etwas Besseres, als Kind zu sein? Jedoch: Ich möchte keineswegs für immer Kind sein. Aber in meinem Rucksack haben nebst dem Know-how eines Erwachsenen auch noch ein paar kindliche Kompetenzen Platz. Das ergibt das ausgewogen Rüstzeug, um die Höhen und Tiefen eines Lebens mit einem Lächeln im Mundwinkel und manchmal einem Tränchen auf dem Wimpernkranz gut und zufrieden zu meistern.
Apropos: Erwachsene können auch sehr gut im Spiel aufgehen und intensive Naturerlebnisse haben. Sie können auch sehr gut staunen und aufmerksam sein. Aber es ist alles andere als selbstverständlich, dass sie das auch tun. Ebenso wie bei einer guten Kindheit geht es auch bei einem guten Leben insgesamt darum, eine bestimmte Balance zu finden. Das ist gar nicht so einfach, aber manchmal kann ein Blick in die Auslage eines Spielzeuggeschäftes, eine Runde «Zicke, Zacke, Hühnerkacke» oder eben die Collagen in meinem Seelentagebuch diesbezüglich Wunder wirken. Jedenfalls werde ich die beiden Spiele kaufen und fleissig weiter Collagen kreieren.
Herzlichst,
Ihre Corinne Remund
Verlagsredaktorin