Auschwitz aus Kinderaugen


    BUCHREZENSION VON LILLY RÜDEL


    Wir kennen die Welt des zweiten Weltkriegs aus Erzählungen, Literatur und Bildern. Man hat sich gefürchtet, man hat Schuldige zur Rechenschaft gezogen, man hat daraus gelernt. Doch noch nie hat man sie wieder auferstehen lassen. Imre Kertész schreibt als Autobiografie seine eigene Geschichte nieder als glückliches Kind, das- so unglaublich es klingt- vom «Glück der Konzentrationslager» spricht.

    (Bild: zVg)

    Im Gegensatz zum Zufall liegt dem Schicksal immer eine vermeintliche Ursache zugrunde. Doch was passiert, wenn man schicksallos ist? Lebt man dann einer Welt fern aller Hoffnung und Licht? Imre Kertész beschreibt in seinem ersten Buch «Roman eines Schicksallosen» die Geschichte eines 14jährigen Jungen, der trotz aller Dunkelheit der harten Realität im Licht des Lebens lebt. In chronologischer Reihenfolge wird das Leben des jüdischen Jungen György Köves in Ungarn beschrieben- von der Verhaftung seines Vaters bis hin zur eigenen Deportation in die Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald und Zeitz.

    Im Gegensatz zu vorherigen Literaturwerken über den zweiten Weltkrieg beschreibt der Autor den Alltag in den Konzentrationslagern nüchtern und objektiv. Aus einer gutgläubigen und unschuldigen Perspektive erfährt der Leser, wie die insgesamt 900’000 jüdischen Kindern in Ungarn, die in die Konzentrationslager deportiert wurden, sich in das System des sorgsam geplanten Massenmordes einordnen mussten. Mit Hintergrund des Holocaust scheinen die belanglose Plaudereinen mit den SS-Soldaten und die Sticheleien unter den Gefangenen, die der Autor beschreibt, sonderlich abstrus. Doch das Buch ist die nackte Wahrheit der emotionalen Reise der jüdischen Kinder.

    Das Buch ist zweifelsfrei keine leichte Kost. Das Buch bewegt und lässt auch nach dem Lesen nicht los. Die Naivität, die sich vor allem an Anfang, wie ein roter Faden mehrheitlich durch das Buch zieht, schockiert, macht wütend und traurig. Selten weiss der Lesende mehr über die Schicksalslosigkeit eines Protagonisten Bescheid als in diesem Buch. Und genau dieses Informationsgefälle bekümmert, erschreckt und zerreisst einem das Herz.


    Über den Autor
    Imre Kertész arbeitete 13 Jahre lang an dem Buch «Roman eines Schicksallosen». Nach der Veröffentlichung 1975 wurde das Buch im kommunistischen Ungarn jedoch erstmals totgeschwiegen. Erst mit der zweiten deutschen Übersetzung wurde das Buch 1996 zum grossen Erfolg. 2022 erhielt der ungarische Autor den Literaturnobelpreis für sein Gesamtwerk, jedoch vor allem für sein literarisches Meisterwerk «Roman eines Schicksallosen»

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